Archiv des Autors: Axel Stadtländer

Laabs Kowalski: Totensommer | ****

Für Frank ändert sich im Sommer 1976 alles, als im Nachbarhaus die seltsame Familie Dembrock einzieht. Besonders deren Tochter Eva mit den roten Gummistiefeln zieht ihn in ihren Bann. Eva ist ein merkwürdiges Mädchen, die auch noch in seine Klasse versetzt wird. Sie beschimpft die Lehrerin und prügelt sich mit Jungs, gleichzeitig wird aber auch ihre Verletzlichkeit und Einsamkeit sichtbar. Für den Außenseiter Frank, der unsportlich ist und am liebsten Bücher liest, wird sie zur einzigen Freundin. Zusammen unternehmen sie Ausflüge in den Wald und entdecken dort ein halb verfallenes Haus mit einer uralten Frau, die ein Geheimnis umgibt. In diesem Sommer passieren Katastrophen, es gibt mehrere Tote und danach ist nichts mehr, wie es vorher war.

Laabs Kowalski hat mit Totensommer einen verstörenden Roman geschrieben. Die sonderbarsten Ereignisse werden mit größter Selbstverständlichkeit erzählt, wodurch  eine märchenhafte Atmosphäre entsteht. Für Jugendliche & Erwachsene.-

Satyr | 2011| 169 Seiten | Taschenbuch | Belletristik / All-Age | 9783863270049 | 14,90 €

Mauro Corona: Im Tal des Vajont | *****

Im Jahr 2003 bekommt der Erzähler Besuch von einem merkwürdigen Mann. Dieser überreicht ihm einen Metallzylinder mit einem großen schwarzen Heft, in dem ein gewisser Severino Corona, vielleicht ein Verwandter von ihm, seine Lebensgeschichte aufgeschrieben hat. Severino, genannt Zino wird 1879 geboren. Er wächst in einem Bergdorf im Friaul, in den italienischen Alpen, als Waise bei Verwandten auf. Sein Vater ist von Unbekannten ermordet worden, seine Mutter stirbt kurz darauf. Sein bester Freund wird der junge Raggio, mit dem er später eine Käserei aufmacht. Doch aus der engen Freundschaft entwickelt sich eine Todfeindschaft, als Zino von Raggios Frau verführt wird. Mauro Corona gibt uns mit seinem großartigen Roman Im Tal des Vajont einen Einblick in das archaische Leben in der Bergwelt der Alpen zu Beginn der Moderne. Mit großer erzählerischer Kraft schildert er ein schier auswegloses Drama, in dem alle Beteiligten Getriebene sind und in dem es keinen anderen Ausweg als den Tod zu geben scheint.

Graf | 2012 | 303 Seiten | Hardcover | 9783862200245 | 18,00 €

Josef Bierbichler: Mittelreich | *****

Wenn Schauspieler Romane schreiben, bin ich erst einmal vorsichtig, da sich ein guter Erzähler doch in vielem von einem guten Darsteller unterscheidet. Diese Bedenken sind jedoch bei diesem außergewöhnlichen Roman von Josef Bierbichler, der uns als Theater- und Filmschauspieler aus vielen Filmen und Stücken bekannt ist, völlig fehl am Platz. Bierbichler erzählt die Geschichte einer bayerischen Seewirtschaft über drei Generationen von der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg bis in die 1980er Jahre. Die Betreiber dieses Wirtshauses am Starnberger See mit angeschlossener Landwirtschaft sind weder arm noch wirklich reich, sondern nur mittelreich, Kleinbürger also, die sich von den aufsässigen Arbeitern in den Städten bedroht fühlen, aber auch nicht zu den „feinen Leuten“ gehören, die zwar von ihnen bewundert werden, doch als „Obrigkeit“ gefürchtet sind. Die Katholische Kirche dominiert die kleine Welt mit dem ganzen Spektrum ihres Wirkens: von den Tröstungen im Alltag bis zum sexuellen Missbrauch im Internat.Bei der Machtübernahme der Nazis 1933 sind die Leute froh, dass wieder Ruhe im Land herrscht, die Juden mögen sie sowieso nicht – da hat der Jahrhunderte alte Volks–Antisemitismus der katholischen Kirche seine volle Kraft entfaltet. Nach dem Zweiten Weltkrieg ist man mit anderen Dingen beschäftigt, man schaut nach vorn aufs Wirtschaftswunder und nicht zu den unschönen Ereignissen der Vergangenheit.Josef Bierbichler hat eine Vielzahl von stimmigen und authentischen Charakteren in seinem Roman untergebracht. Er hat souverän alle Handlungsstränge im Griff und erzählt uns all die kleinen Geschichten in der großen Geschichte. Große Literatur.

Suhrkamp | 2011 | 392 Seiten | Hardcover | Belletristik | 9783518422687 | 22,90 €

Donald Ray Pollock: Das Handwerk des Teufels | ****

Das ländliche Ohio in den 1950er Jahren – : hier möchte man nicht begraben sein. In diesem armen und bigotten Milieu des amerikanischen Mittleren Westens wächst der junge Arvin auf. Sein vom Krieg traumatisierter Vater versucht die krebskranke Mutter durch Gebete und Tieropfer zu heilen, dem auch Arvins Hund zum Opfer fällt. Dann gibt es einen Wanderprediger, der seine eigene Frau ersticht, um Sie von den Toten wieder auferstehen zu lassen. Gleichzeitig gabelt ein Serienmörderpärchen Tramper auf, um sie sadistisch zu töten. Irgendwann läuft ihnen Arvin über den Weg…
Donald Ray Pollock hat mit Das Handwerk des Teufels das düstere Porträt einer Gesellschaft ohne Hoffnung geschrieben, das weit über die Grenzen des konventionellen Kriminalromans hinausgeht.

 Liebeskind | 303 Seiten | Hardcover | Krimi | 9783935890854 | 19,80 €

Milena Michiko Flašar: Ich nannte ihn Krawatte | ****

Zwei Menschen begegnen sich jeden Tag auf einer Parkbank. Der junge Mann gehört zu den mehr als hunderttausend „Hikikomori“, den Menschen, die sich nach Beendigung der Schule ins Elternhaus zurückziehen, weil sie Angst vor der Konformität und dem extremen Druck der japanischen Gesellschaft haben. Der ältere Herr, korrekt gekleidet mit Anzug und Krawatte, ist von seiner Firma entlassen worden und verheimlicht dies vor seiner Frau. Nach und nach erzählen sie sich ihre Geschichte und sind dabei zum ersten Mal ehrlich. Zwischen beiden entsteht so etwas wie Freundschaft…
Der österreichisch – japanischen Autorin Milena Michiko Flašar ist es gelungen, mit  Ich nannte ihn Krawatte einen spannenden und berührenden Roman über menschliche Schwächen und Tragik zu schreiben, ohne die naheliegenden Klischees von „junger Mann – alter Mann“ zu bedienen.

Wagenbach | 2012 | 139 Seiten | Hardcover | Belletristik | 9783803132413 | 16,90 €

Elisabeth Filhol: Der Reaktor | ****

Für das reibungslose Funktionieren von Kernkraftwerken benötigt die Atomindustrie Menschen, die unter Einsatz der eigenen Gesundheit, im schlimmsten Fall des eigenen Lebens, dafür sorgen, dass die Anlagen gewartet, gereinigt und repariert werden. Elisabeth Filhol schildert in Der Reaktor mit viel Detailkenntnis die Lebensumstände von französischen Arbeitsnomaden, die von einem Atomkraftwerk zum nächsten unterwegs sind,  in Schnellkursen von Subunternehmen auf ihre Aufgaben vorbereitet werden und bei ihren Arbeiten ständig befürchten müssen, eine zu hohe Strahlendosis abzubekommen, was sie für Monate arbeitslos machen würde. Zwischen ihnen herrscht eine gewisse Solidarität, man trifft sich gelegentlich wieder, übernachtet auf den gleichen Campingplätzen und billigen Hotels. Filhol schafft es, in einer spröden und sachlichen Sprache die verborgene Seite dieser scheinbar sauberen Energie sichtbar zu machen und Mitgefühl für die Menschen zu entwickeln, die – unsichtbar für den Rest der Gesellschaft – die Drecksarbeiten für die Atomkonzerne erledigen. Der Reaktor liefert einen Grund mehr dafür, Atomkraftwerke schleunigst abzuschalten.

Edition Nautilus | 2011| 122 Seiten | Hardcover | Belletristik | 9783894017408 | 16,00 €