Archiv der Kategorie: Krimi

George V. Higgins: Die Freunde von Eddie Coyle | *****

„In einer aufgelassenen Kiesgrube bei Orange, Massachusetts, war ein Trailerpark. Im Dunkeln fuhr Eddie Coyle mit seinem alten Sedan de Ville langsam durch die Reihen der Trailer. Die eckigen Scheinwerfer waren aufgeblendet, die Breitreifen ragten rechts und links über die Ränder des schmalen Asphaltwegs. Vor einem hellblau und gelb gehaltenen Trailer mit schmiedeeisernen Verzierungen und einer mickrig wirkenden Stahltreppe hielt er an. Der Unterbau des Trailers war hinter silbrig glänzendem Stoff verborgen. An den Fenstern hingen Vorhänge, hinter denen Licht schimmerte.“ (S. 110)

Die Story von Die Freunde von Eddie Coyle, des ersten, 1971 erschienen Romans des amerikanischen Juristen & Schriftstellers George V. Higgins (1933 – 1999), der bereits 1973 unter dem Titel Hübscher Abend bis jetzt erstmalig ins Deutsche übersetzt wurde (Hoffmann & Campe; Übersetzer: Ben Witter), ist schnell erzählt: der kleinkriminelle Dieb & Waffenschieber Eddie Coyle glaubt, durch einen scheinbar leichten Deal mit dem Polizisten Dave Foley einer anstehenden Verurteilung zu entgehen. Nachdem er einen seiner Kunden verraten hat, wähnt er sich auf der sicheren Seite. Daß dies ein Irrglaube war, wird schnell klar, nachdem die italienischen Mobster der Bostoner Unterwelt um Jimmy Scalisi sowie der als Polizeispitzel tätige Kneipenbesitzer Dillon ins Spiel kommen: und so gerät, wer seine vermeintlichen Freunde verrät, schnell selbst in die Schußlinie.

Higgins komponiert diese düstere Gangstergeschichte um Verrat und Vergeltung mit eleganter Hand. Seine Beschreibungen des Personals und der Szenerie sind äußerst knapp & treffend, und die Dialoge kann man nicht anders als phantastisch nennen. Dirk van Gunsterens Übersetzung trifft die unterschiedlichen Sprechweisen und den Jargon aufs Genaueste. Großes Lesevergnügen!

George V. Higgins: Die Freunde von Eddie Coyle | Kunstmann | 2014 | aus dem Englischen von Dirk van Gunsteren | broschiert | 189 Seiten | 9783888979125 | € 14,95

Donald Ray Pollock: Das Handwerk des Teufels | ****

Das ländliche Ohio in den 1950er Jahren – : hier möchte man nicht begraben sein. In diesem armen und bigotten Milieu des amerikanischen Mittleren Westens wächst der junge Arvin auf. Sein vom Krieg traumatisierter Vater versucht die krebskranke Mutter durch Gebete und Tieropfer zu heilen, dem auch Arvins Hund zum Opfer fällt. Dann gibt es einen Wanderprediger, der seine eigene Frau ersticht, um Sie von den Toten wieder auferstehen zu lassen. Gleichzeitig gabelt ein Serienmörderpärchen Tramper auf, um sie sadistisch zu töten. Irgendwann läuft ihnen Arvin über den Weg…
Donald Ray Pollock hat mit Das Handwerk des Teufels das düstere Porträt einer Gesellschaft ohne Hoffnung geschrieben, das weit über die Grenzen des konventionellen Kriminalromans hinausgeht.

 Liebeskind | 303 Seiten | Hardcover | Krimi | 9783935890854 | 19,80 €

Oliver Bottini: Der kalte Traum | *****

Rottweil, 1991: der 20-jährige Schwabe kroatischer Herkunft, Thomas Cavar, gerät in den Dunstkreis kroatischer Nationalisten, die in den Exil-Gemeinden Süddeutschlands um Kämpfer für die kroatische Unabhängigkeit werben. Wenig später schon kämpft er auf kroatischer Seite um Dörfer, Enklaven und fließende Grenzlinien gegen den serbischen Feind. 1995 fällt er angeblich im Gefecht.
Zwanzig Jahre später – : Kroatien ist mittlerweile bemüht, der strafverfolgenden Behörde in Den Haag gesuchte Kriegsverbrecher auszuliefern. Bilder von serbische Zivilisten exekutierenden Kroaten tauchen auf, ebenso Zweifel, ob der vermeintliche Mörder Thomas Cavar wirklich tot ist. Eine deutsche Journalistin recherchiert den Fall in Zagreb, ein deutscher Kriminalbeamter in Deutschland, und der kroatische Geheimdienst ist alles andere als inaktiv…
Oliver Bottini inszeniert in Der kalte Traum diese eindrückliche Geschichte über ideologische Verblendung, Schuld und Vergeltung nicht als herkömmlichen Polit-Thriller, sondern als literarisches Kammerspiel mit authentisch gezeichnetem, vielstimmigem Personal. In klug komponierten Vor- und Rückblenden entfaltet sich das tragische Schicksal des Protagonisten ebenso wie die Zeitläufte des Zerfalls Jugoslawiens im europäischen Kontext. Der Verzicht auf genretypische, sprachliche & dramaturgische Effekthaschereien führt zu einem Leseerlebnis der besonderen Art: ich nenn’s jetzt mal effekthascherisch *Polit-Thriller 3.0*. Starke Empfehlung!

Dumont | 2012 | 446 Seiten | Hardcover | 9783832196592 | € 18,99

Robert Brack: Blutsonntag | *****

Am 17. Juli 1932 marschierten SA Verbände durch das „Gängeviertel“ im roten Hamburg–Altona, einer Hochburg der KPD. Durch diese Provokation kam es zu blutigen Straßenschlachten zwischen linken Arbeitern und Nationalsozialisten. Die Hamburger Polizei, offiziell noch unter sozialdemokratischer Führung, aber faktisch von Nazis unterwandert, schoss wahllos in die Menge. Dieses Gemetzel mit 18 Toten ging als „Altonaer Blutsonntag“ in die Geschichte ein. – Ausgehend von dieser realen Begebenheit hat Robert Brack eine spannende Story konstruiert: die nicht immer parteikonforme, kommunistische Redakteurin Klara Schindler ermittelt auf eigene Faust und interviewt mit dem modernen „Magnetofon“ Zeugen, um die Hintermänner des Massakers zu finden und zu bestrafen. – Dem Autor gelingt es, in diesem packenden Kriminalroman die Atmosphäre in den letzten Jahren der Weimarer Republik authentisch wiederzugeben. Und wie es sich für einen Roman gehört, der in der libertären Edition Nautilus erscheint, sind die Kommunisten zwar die Guten, doch die Anarchosyndikalisten – mit ihrer „direkten Aktion“ – die Besseren…

Edition Nautilus | 2010 | 256 Seiten | Paperback | 9783894017286 | € 13,90

Ken Bruen: Jack Taylor fliegt raus | ****

Buchcover von Ken Bruen: Jack Taylor fliegt rausJack Taylor, Privatdetektiv, Ex – Bulle und bibliophiler Trinker aus Galway ist wohl das Gegenteil eines erfolgreichen und smarten Gangsterjägers: in den meisten Kneipen der Stadt hat er Lokalverbot, seine Wohnung wird gekündigt, und mit der Liebe will es zwischen Entziehungskuren und Rückfällen auch nicht so recht funktionieren. – Ein neuer Fall steht ins Haus: eine verzweifelte Mutter glaubt nicht an den Selbstmord ihrer 16-jährigen Tochter und beauftragt den Ermittler mit weiteren Nachforschungen. Als dann noch einige Freunde Taylors das Zeitliche segnen, droht er völlig in Depressionen zu versinken.-
Mit Jack Taylor hat der irische Autor Ken Bruen die Kriminalliteratur um eine schillernde neue Figur bereichert. Die geniale deutsche Übersetzung stammt von einem gewissen Harry Rowohlt…

Atrium | 2009| 302 Seiten| Taschenbuch| 9783855350445| 16,00 €|

Matt Beynon Rees: Der Verräter von Bethlehem | ***

Buchcover von Matt Beynon Rees: Der Verräter von BethlehemOmar Jussuf, der Protagonist dieses in Palästina angesiedelten Kriminalromans, ist eigentlich Geschichtslehrer in einer von den UN in einem Bethlehemer Flüchtlingscamp geleiteten Schule. Als einer seiner ehemaligen Schüler unter dem Verdacht des Mordes an einem sogennanten palästinensischen „Widerstandskämpfer“ festgenommen wird, fängt Jussuf, der von der Unschuld seines Schülers überzeugt ist, mit privaten Ermittlungen an, die ihn schnell ins Herz der palästinensischen Selbstverwaltung führen, deren staatliche Organe von Korruption, Nepotismus und ideologischem Hass auf den Nachbar-Staat gekennzeichnet sind, und in denen kritisches Hinterfragen der offiziellen Politik als Verrat gilt, der unbarmherzig bestraft werden muß…Der Verräter von Bethlehem, der erste Kriminalroman des Nahost-Korrespondenten und Israel-Kenners Matt Beynon Rees ist erfreulich unideologisch und wirft einen detailreichen Blick auf das Alltagsleben in Palästina, dessen Elend und Mängel üblicherweise dem verhaßten Nachbarn angelastet werden und nicht den palästinensischen Eliten, die sich auf Kosten ihrer Landsleute schamlos bereichern. Leider ist der sympathische Ermittler ein wenig naiv, was der Spannung dieses Krimis nicht zuträglich ist.

Heyne | 2009 | 327 Seiten | Taschenbuch | 9783453433588 | € 8,95 |