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André Schiffrin: Paris, New York und zurück – Politische Lehrjahre eines Verlegers | *****

Buchcover von André Schiffrin: Paris, New York und zurück - Politische Lehrjahre eines VerlegersAls Verleger von Pantheon Books und The New Press bot André Schiffrin seit den frühen Sechziger-Jahren Autoren wie Simone de Beauvoir, Michel Foucault, Noam Chomsky, Eric Hobsbawm, Art Spiegelman und Marguerite Duras eine publizische Heimat in den Vereinigten Staaten und war lange einer der führenden Vertreter des konzernunabhängigen Verlegertums und herausragende Persönlichkeit der amerikanischen Linken. Nachdem Schiffrin im Jahre 2000 in Verlage ohne Verleger die katstrophalen Folgen der Konzentration in der Verlagsbranche und die ausschließliche Fokussierung auf die Rendite für unabhängige Verlage, Autoren und Buchhändler in bemerkenswerter Klarheit beschrieben hatte, legt er mit Paris, New York und zurück seine intellektuelle Biographie des Verlegers als junger Mann vor: von der erzwungenen Emigration aus Paris, wo sein Vater Herausgeber der renommierten Pleijade-Reihe war, über die akademische Ausbildung in den USA und Großbritannien, wo die Identifikation mit der studentisch-akademischen Linken ihren Ausgangspunkt nimmt – und die staats-offizielle Verfolgung derselben in den USA ihren Höhepunkt erreicht – , bis zur jahrzehntelang währenden Arbeit beim Pantheon-Verlag, dessen Zerschlagung durch Einverleibung in die Rendite-Logik eines Großkonzerns der Autor Anfang der 1990er Jahre noch einmal kontert mit der Gründung von The New Press, einem Verlag, der sowohl ehemalige Pantheon-Autoren verlegt als auch eine Vielzahl weiterer Autoren, deren Werke durch das Wahrnehmungsraster der stromlinienförmigen Groß-Konzerne fallen: Etienne Balibar, Louis Althusser, Jean Echenoz, Tahar Ben-Jelloun, Primo Levi, Claude Simon, Enzo Traverso, Immanuel Wallerstein…
Schiffrin schreibt klar, elegant und selbstkritisch – großes Lesevergnügen!

Matthes & Seitz | 2010 | 254 Seiten | Hardcover | 9783882216851 | € 22,90 |

Claude Lanzmann: Der patagonische Hase. Erinnerungen | *****

lanzman_patagonische Claude Lanzmann, geboren 1925, Journalist und Dokumentarfilmer, Freund von Sartre, Geliebter von Simone de Beauvoir, Herausgeber von Les Temps Modernes, Regisseur von Shoah, erzählt in diesem Buch seine Lebensgeschichte. Der Sohn nach Frankreich emigrierter osteuropäischer Juden muss zusammen mit seiner Familie während der deutschen Besatzung untertauchen. Als Gymnasiast kämpft er in der französischen Resistance. Lanzmann studiert nach dem Krieg Philosophie in Tübingen, lehrt an der Freien Universität Berlin und arbeitet später in Paris als Journalist für verschiedene Zeitschriften. Er engagiert sich gegen die Todesstrafe und für die Unabhängigkeit Algeriens. Sein Lebensthema aber ist das Eintreten für das Existenzrecht Israels als Zufluchtsort der den Holocaust überlebenden Juden und der Versuch, den Zivilisationsbruch der Vernichtung von sechs Millionen europäischer Juden zu dokumentieren und zu verstehen. Lanzmann lässt die Pariser Intellektuellenszene der 1950er und 60er Jahre noch einmal lebendig werden und schildert politische und private Diskussionen, kleine und große Abenteuer und Reisen. Manchmal ermüdet das Namedropping ein wenig, denn der Autor ist nicht uneitel. Doch die Beschreibung der jahrelangen Dreharbeiten für den epochemachenden Dokumentarfilm Shoah und der anschließenden Rezeption entschädigt für alles. Mit großem Aufwand recherchiert Lanzmann in Europa, den USA und Israel. Der neunstündige Film kommt ohne eine einzige Archivszene aus. Er besteht nur aus Interviews mit Opfern und auch mit Tätern, was für das Filmteam nicht immer ungefährlich war. So rekonstruiert dieses Meisterwerk minutiös alle Stationen des Holocaust. Der patagonische Hase ist für mich das Buch des Jahres. Es ist ein wichtiger Mosaikstein zum Verständnis des 20. Jahrhunderts.

Rowohlt | 2010 | 681 Seiten | Hardcover | 9783498039394 | 24,95 € |

 

Hans-Ulrich Dillmann & Susanne Heim: Fluchtpunkt Karibik. Jüdische Emigranten in der Dominikanischen Republik | ****

dillmann_fluchtpunktAuf der internationalen Flüchtlingskonferenz im französischen Évian-les-Bains im Juli 1938 machte der Diktator der Dominikanischen Republik, General Rafael Trujillo, den Repräsentanten der teilnehmenden Staaten ein überraschendes Angebot: er bot an, 100.000 jüdischen Flüchtlingen aus Europa Asyl auf der Karibikinsel zu gewähren. Der rassistische General wollte durch diese Maßnahme die Bevölkerung seines Landes „aufhellen“. Als kaum ein Land noch Flüchtlinge aufnehmen wollte, bot diese Offerte für viele Verfolgte die Hoffnung auf ein neues Leben. Der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs verhinderte eine Emigration im großen Stil, doch immerhin gelang es, eine kleine Gemeinde nach Vorbild der israelischen Kibbuzim aufzubauen, deren Spuren im Badeort Sosuá heute noch zu besichtigen sind. In diesem spannenden Buch bringen uns Hans-Ulrich Dillmann und Susanne Heim ein weitgehend unbekanntes Stück jüdischer und deutscher Geschichte näher.

Christoph Links | 2009 | 188 Seiten | Paperback | 9783861535515 | € 24,90

Maxim Biller: Der gebrauchte Jude – Selbstporträt | ****

biller_judeMaxim Billers Selbstporträt ist eine Sammlung autobiographischer Skizzen des Autors als junger Mann: von ersten Selbstfindungsversuchen bis zu den journalistischen Tempo-Jahren; von den ersten Erfolgen als Erzähler bis zu meinungsscharfen Debatten mit dem etablierten Kulturbetrieb. Der Tonfall ist mal polemisch und aggressiv, mal wehleidig und ein wenig selbstgefällig. Wer sich darauf einläßt, wird mit schillernden Geschichten in eleganter Sprache belohnt. Und wer vorab mehr über die deutsch-jüdischen Befindlichkeiten, innerhalb derer sich Biller verortet, wissen möchte, dem sei der bissig-freundliche Verriß dieses Buches von Henryk M. Broder im SPIEGEL empfohlen.

Kiepenheuer & Witsch | 2009 | 176 Seiten | Hardcover | 978-3-462-03703-6 | € 16,95