Schlagwort-Archive: Edition Nautilus

Elisabeth Filhol: Der Reaktor | ****

Für das reibungslose Funktionieren von Kernkraftwerken benötigt die Atomindustrie Menschen, die unter Einsatz der eigenen Gesundheit, im schlimmsten Fall des eigenen Lebens, dafür sorgen, dass die Anlagen gewartet, gereinigt und repariert werden. Elisabeth Filhol schildert in Der Reaktor mit viel Detailkenntnis die Lebensumstände von französischen Arbeitsnomaden, die von einem Atomkraftwerk zum nächsten unterwegs sind,  in Schnellkursen von Subunternehmen auf ihre Aufgaben vorbereitet werden und bei ihren Arbeiten ständig befürchten müssen, eine zu hohe Strahlendosis abzubekommen, was sie für Monate arbeitslos machen würde. Zwischen ihnen herrscht eine gewisse Solidarität, man trifft sich gelegentlich wieder, übernachtet auf den gleichen Campingplätzen und billigen Hotels. Filhol schafft es, in einer spröden und sachlichen Sprache die verborgene Seite dieser scheinbar sauberen Energie sichtbar zu machen und Mitgefühl für die Menschen zu entwickeln, die – unsichtbar für den Rest der Gesellschaft – die Drecksarbeiten für die Atomkonzerne erledigen. Der Reaktor liefert einen Grund mehr dafür, Atomkraftwerke schleunigst abzuschalten.

Edition Nautilus | 2011| 122 Seiten | Hardcover | Belletristik | 9783894017408 | 16,00 €

Robert Brack: Blutsonntag | *****

Am 17. Juli 1932 marschierten SA Verbände durch das „Gängeviertel“ im roten Hamburg–Altona, einer Hochburg der KPD. Durch diese Provokation kam es zu blutigen Straßenschlachten zwischen linken Arbeitern und Nationalsozialisten. Die Hamburger Polizei, offiziell noch unter sozialdemokratischer Führung, aber faktisch von Nazis unterwandert, schoss wahllos in die Menge. Dieses Gemetzel mit 18 Toten ging als „Altonaer Blutsonntag“ in die Geschichte ein. – Ausgehend von dieser realen Begebenheit hat Robert Brack eine spannende Story konstruiert: die nicht immer parteikonforme, kommunistische Redakteurin Klara Schindler ermittelt auf eigene Faust und interviewt mit dem modernen „Magnetofon“ Zeugen, um die Hintermänner des Massakers zu finden und zu bestrafen. – Dem Autor gelingt es, in diesem packenden Kriminalroman die Atmosphäre in den letzten Jahren der Weimarer Republik authentisch wiederzugeben. Und wie es sich für einen Roman gehört, der in der libertären Edition Nautilus erscheint, sind die Kommunisten zwar die Guten, doch die Anarchosyndikalisten – mit ihrer „direkten Aktion“ – die Besseren…

Edition Nautilus | 2010 | 256 Seiten | Paperback | 9783894017286 | € 13,90

Pino Cacucci: Besser auf das Herz zielen | ****

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Der kleinen Edition Nautilus verdanken wir die deutsche Erstausgabe dieses historischen Doku-Romans über  Leben und Sterben des französischen Anarchisten Jules Bonnot (1876 – 1912). Pino Cacucci, der im deutschen Sprachraum Anfang der 90er Jahre mit der schrillen und temporeichen Road-Novel Puerto Escondido bekannt wurde und auch eine gelobte Biographie über die italienische Künstlerin und Revolutionärin Tina Modotti veröffentlichte, gelingt im vorliegenden Buch ein differenziertes Portrait sowohl des rast- und ruhelosen Lebens des Protagonisten als auch des gesellschaftlichen Umfeldes, in dem sich die damaligen Anarchisten  – als Staatsfeinde von Polizei und Justiz gnadenlos verfolgt – bewegt haben. Sehr gut !

Edition Nautilus | 2010 | 349 Seiten | Hardcover | 9783894017224 | € 19,90

Gail Jones: Perdita | ****

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Die australische Autorin erzählt in ihrem dritten in deutscher Sprache erschienenen Roman die tragische Geschichte des Mädchens Perdita, das in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts als Tochter liebloser, aus England eingewanderter Eltern in der Ödnis der westaustralischen Provinz heranwächst und nach einem Familiendrama die Fähigkeit zu sprechen verliert. Nur die Freundschaft zum taubstummen Sohn der Nachbarn sowie einem entwurzelten Aborigine-Mädchen gewährt Perdita kurze Momente von Wärme und Glück jenseits ihrer emotional erstarrten Eltern. Gail Jones‚ einfühlsame Sprache erkundet souverän die psychologischen Abgründe ihrer Protagonisten als auch die sozialen und kulturellen Verwerfungen im Australien der 30er/40er Jahre des vergangenen Jahrhunderts.

Edition Nautilus | 2009 | 253 Seiten | Hardcover | 9783894015992 | € 19,90

Jochen Schimmang: Das Beste, was wir hatten | *****

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Gerne folgen wir Leser den ungeschwätzig und präzise gezeichneten Protagonisten in Jochen Schimmangs neuem Roman auf ihrer Zeitreise durch die Bonner Republik von den Mitt-60er-Jahren bis kurz nach der Wende: von der unspektakulären Kindheit in der norddeutschen Provinz zum Studium im Westberlin der Studentenbewegung und der politischen Sekten, und von dort dann in die Karrieren der politisch-akademischen juste milieus des alten Westdeutschland, dessen politisches und geistiges Kerngebiet der Autor im Rheinland verortet: Leo Münks wird Mitarbeiter des Verfassungsschutzes in Köln, und sein Freund Gregor Korff Politikberater im Bonner Kanzleramt. Jochen Schimmang erzählt von den großen Zeitläufen als auch den vielen kleinen Verwerfungen und Verwicklungen im Leben seiner Protagonisten in sparsamer, klarer Sprache und mittels eleganter Rückblenden und Perspektivwechsel.

Edition Nautilus | 2009 | 318 Seiten | Hardcover | 978-3-89401-598-5 | € 19,90