Schlagwort-Archive: Suhrkamp

Laura Alcoba: Das Kaninchenhaus | ****

alcoba_kaninchenhausLaura ist sieben Jahre alt, als ihr Vater verhaftet wird. Sie erzählt uns, wie es ist, in Argentinien Mitte der 70er Jahre mit der Mutter im Untergrund zu leben. Die Eltern sind Aktivisten der Monteneros, einer linken Widerstandsbewegung gegen das Militärregime, das jede Opposition mit Gefängnis, Folter und Mord verfolgt. Am Stadtrand von Buenos Aires leben Tochter und Mutter in einem kleinen Haus mit einem Schuppen auf dem Hof. In diesem Schuppen befindet sich, als Kaninchenzucht getarnt, die Druckerei der Monteneros. Die Mutter lebt in ständiger Angst, dass Laura versehentlich ihr Versteck verraten könnte. Inmitten dieser alltäglichen Konspiration und Bedrohung wächst Laura auf. Laura Alcoba hat einen beeindruckenden Roman geschrieben, der in der Sprache eines Kindes den Schrecken der Militärdiktatur um so wirkungsvoller beschreibt.

Suhrkamp Verlag | 2010 | 118 Seiten | Hardcover | ISBN 9783458174929 | € 15,90 |

Rainald Goetz: loslabern | ****

goetz_loslabernLoslabern ist – nach Klage – der zweite Teil von Rainald Goetz‚ „..fortlaufendem Kommentar der Gegenwart..“ (Iris Radisch) und reiht tagebuchartig lose miteinander verknüpfte Betrachtungen, Traktätchen und Lamentos über das geistige & kulturelle Leben im Allgemeinen und dessen Manifestationen in den Feuilletons der Republik (oder auch auf der Frankfurter Buchmesse ) aneinander: mal launisch-lässig, mal mit verbissenem Furor arbeitet sich Goetz am Kulturbetrieb und dessen Protagonisten ab. Da der Autor ein äußerst selbstbewußter Alles- und Besserwisser ist, steht neben scharfsinnigen und klugen Analysen auch allerlei hanebüchener Unsinn, vor allem, wenn Politik aufs Tapet gebracht wird. Loslabern ist ein Buch für die Fans von polemisch-intelligenter Tendenzliteratur, etwa von Biller oder Broder, und auch die Leser von Thomas Bernhard kommen hier auf ihre Kosten.

Suhrkamp | 2009 | 187 Seiten | Hardcover | 9783518421123 | € 17,80

Knud Romer: Wer blinzelt, hat Angst vor dem Tod | ****

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Der dänische Autor Knud Romer erzählt in seinem Debut-Roman die Geschichte von Knud, der als Sohn eines dänischen Vater und einer deutschen Mutter im Dänemark der 60er- und 70er -Jahren aufwächst, in denen der Hass auf die Deutschen noch ähnlich präsent ist wie in der jüngst vergangenen Kriegszeit. In gekonnten Rückblicken rekonstruiert Romer die Geschichten der Eltern und Großeltern und kontrastiert diese mit der trostlosen Nachkriegsgegenwart der Familie des Protagonisten. Die Verknüpfung von Lakonie, Witz und Tragik gelingt souverän und völlig unangestrengt – Wer blinzelt, hat Angst vor dem Tod ist ein großes „kleines“ Buch.

Suhrkamp | 2009 | 169 Seiten | Taschenbuch | 9783518460504 | € 7,50

Nicolai Lilin: Sibirische Erziehung | ****

lilin_sibirischeDer erste Roman des in London lebenden russischen Autors ist kein Kriminalroman im engeren Sinn, sondern der autobiographisch-erzählende Bericht des in Transnistrien geborenen und aufgewachsenen Protagonisten, der einem unter Stalin aus Sibirien dorthin deportierten Kriminellenclan, den Urki, angehört. Deren sozialer Ethos unterscheidet sich erheblich von dem der „normalen“ Kriminellen, wobei die Grenzen zwischen Halbwelt, Unterwelt und der halbwegs normalen Klein- und Beschaffungskriminalität im sowjetischen und postsowjetischen Riesenreich durch jahrzehntelange gewaltsame Umsiedlungen und Deportationen mehr als unscharf geworden sind. Nicolai Lilin beschreibt die hilflosen Versuche seines Clans, die Vorstellungen des „ehrenhaften“ Verbrechers aus einer von den Alten glorifizierten Vergangenheit in die neue Zeit zu retten: sein scharfer Blick in die gewalttätigen, verwahrlosten Knäste & Städte des neuen Russland ist beeindruckende Literatur.

Suhrkamp | 2010 | 451 Seiten | Paperback | ISBN 9783518461624 | € 14,90

Adrian McKinty: Der sichere Tod | ****

mckinty_sichereNach misslungenen Betrügereien setzt sich der junge Protagonist Michael Forsythe Anfang der 90er-Jahre aus Belfast ab, um als Illegaler in New York sein Glück zu finden. Schnell steigt er in der irischen Gang von Darkey White auf, die in den verwahrlosten Straßenzügen zwischen Harlem und der Bronx von Drogenhandel und Schutzgelderpressung lebt. Als Michael eine Liaison mit Darkeys Freundin beginnt, ist seine Karriere jedoch ziemlich schnell zu Ende, so scheint es zumindest…Adrian McKinty gelingt ein temporeicher Krimi noir mit treffenden Dialogen und einem gekonnt inszenierten Plot. Wir freuen uns jetzt schon auf den zweiten Teil der Dead – Trilogie!

Suhrkamp | 2010 | 464 Seiten | Taschenbuch | ISBN 9783518461594 | € 9,95

Nuruddin Farah: Netze | *****

farah_netzeDas Cover dieses großartigen Buches legt nahe, es ginge darin um Stammesangelegenheiten in irgendeinem afrikanischen Land. Das führt in die Irre, denn der somalische Autor Nurrudin Farah erzählt in Netze die Geschichte einer modernen und gebildeten, im kanadischen Toronto lebenden somalischen Frau. Nach der Scheidung von ihrem Mann, dem Tod ihres Sohnes und den gescheiterten Versuchen beruflicher Selbstverwirklichung im Exil  beschließt sie, in das vom 10-jährigen Bürgerkrieg zerstörte Mogadishu zurückzukehren, um das von einem Warlord besetzte Haus ihrer Familie wieder in Besitz zu nehmen. Cambara gelingt es, Beziehungen zu Menschen zu knüpfen, die nicht in der Logik des Bürgerkriegs gefangen sind, um ihre Ziele zu erreichen – beeindruckende Literatur. Obwohl das Jahr noch jung ist: mein Buch des Jahres.

Suhrkamp | 2010 | 483 Seiten | Hardcover | 978-3-518-42103-1 | € 28,80