Jaron Lanier: Gadget – Warum die Zukunft uns noch braucht | ****

lanier_gadget1Der Internet-Pionier und Computerwissenschaftler Jaron Lanier wirft in seinem Essay Gadget einen skeptischen Blick auf die Hypes in der aktuellen Netz-Kultur und -Politik. In fünf großen und 14 kleinen Kapiteln  hinterfragt er den tatsächlichen Nutzen, den die zur Zeit bestimmenden Konzepte des modernen Internet – „social web“, „cloud computing“ „open source“ und „Schwarmintelligenz“ – für die Konsumenten & vor allem für die Inhalts-Lieferanten haben. In Abgrenzung zu diesen die Anonymität der Teilnehmer betonenden Konzepten wirbt Lanier für den Wert individueller künstlerischer oder geistiger Tätigkeit, der in der modernen Online-Welt weder gewürdigt noch angemessen vergütet wird, sondern lediglich als Futter für immer ausgefeiltere Algorithmen dient, deren Erfinder die digitale Welt zu einer Plattform für perfekt zugeschnittene Werbung machen wollen. Beispiele aus Wissenschaft, Politik, Finanzwelt und Kultur illustrieren anschaulich, warum das Konzept der „Weisheit der Vielen“ keine Alternative zum altmodisch anmutenden Konzept der „Autorenschaft“ sein kann. Man muß nicht jedem Argument des Autors folgen, um dessen grundsätzliche Kritik nachvollziehen zu können. Lesenswert!

Suhrkamp | 2010 | 247 Seiten | Hardcover | 9783518422069 | € 19,90

4 Gedanken zu „Jaron Lanier: Gadget – Warum die Zukunft uns noch braucht | ****

  1. Burkhard Schirdewahn

    „Ein kritischer Blick auf die Entwicklung des Internets ist angebracht, Lanier diskreditiert diesen Blick jedoch durch einen stellenweise fast an Verschwörungstheorien erinnernden Alarmismus“. –

    Für mich war Laniers Tonfall & sein von Dir „Alarmismus“ genannter Überbau ( die mir beide auch negativ aufgefallen sind ) nicht der Filter, durch den ich seine Thesen betrachtet habe. Ich finde nach wie vor, daß seine konkreten Beispiele aus den Tiefen der alltäglichen Widerwärtigkeit im Netz überzeugend sind.
    Der von Dir vorgebrachte Einwand, im Netz gehe es halt nicht anders zu als in der analogen der Welt, ist nicht erkenntnisfördernd, genausowenig wie die Bezeichnung des Autors als „Alt-Hippie“. Als was oder wer darf man denn Stellung beziehen, ohne daß Herkunft, Haltung oder pop-kulturelle Einordnung Ausschlußkriterien sind?

    Für mich sind „Alt-Hippies“ (= Verlorene aus den 70ern; träumen immer noch von einer besseren Welt) und „Alt-68er“ (= Spinner; träumen immer noch von einer gerechteren Welt) die besseren Begleiter als ihre Enkel, die aus der realen Welt einen Schrottplatz machen und aus der digitalen einen Vertriebskanal dafür.-

  2. Michael

    „… Man muß nicht jedem Argument des Autors folgen, um dessen grundsätzliche Kritik nachvollziehen zu können.“

    Hier schimmert das Problem dieses Buches durch und seine Schwäche, die mich – nach großen Erwartungen – dazu brachte, es enttäuscht abzubrechen. Ein kritischer Blick auf die Entwicklung des Internets in angebracht, Lanier diskreditiert diesen Blick jedoch durch einen stellenweise fast an Verschwörungstheorien erinnernden Alarmismus. Folgt man Lanier, dann wird das Internet mehr oder wenigier unsere Kultur und unsere sozialen Fähigkeit zerstören. Da wünschte man sich die Kirche im Dorf und einen klaren Blick. Sinnvolle Kritik wird nahlos vermischt mit sozialer Endzeitstimmung.

    Lanier erscheint als technologiefeindlicher Alt-Hippie, der nicht verstehen kann, warum das – nein: sein! – Internet nicht zur großen geistigen Verbrüderung geführt hat. Er erscheint als jemand, der vom Internet einen geistigen und emotionalen Fortschritt ersehnt hat und schockiert feststellt, dass der krabbelnde Haufen Menschheit auch im Internet nicht besser oder reifer geworden ist. Seine Aufforderungen, doch bitte nur gehaltvolle, kreative und persönlich wertvolle Beiträge ins Internet zu stellen, ist erfüllt von drögem Kulturpessimismus.

    Das zweite Problem ist, dass er die pickeligen Nerds des Internets zu ernst nimmt. Hier erinnert er an einen Verschwörungstheoretiker, wenn er wirklich glaubt, hier seine eine Entwicklung im Gange, um den Menschen überflüssig zu machen. Wenn er Microsoft unterstellt, „it promotes a new philosophy: that the computer is evolving into a life-form that can understand people better than people can understand themselves“ schießt er über das Ziel hinaus.

    Irritierend sind auch Laniers Ausführung über Alan Turing, dessen tragische Person quasi zum Übervater digitaler Menschenvernichtungspläne gemacht wird (wenn auch wider Willen):
    „Turing imagined a pristine, crystalline form of existence in the digital realm, and I can imagine it might have been a comfort to imagine a form of life apart from torments of the body and the politics of sexuality. It’s notable that it is the woman who is replaced by the computer, and the Turing’s suicide echoes Eve’s fall.“

    Vor dem Hintergrund dieser Metaphern muss man sich fragen, welche Rolle Julian Assange in Laniers Weltbild wohl einnimmt, als Anti-Christ der digitalen Apokalypse?

    Jaron Lanier ist mit seinem Thema überfordert. Für einen kritischen Blick auf die Entwicklung von Technologie und Informationsgesellschaft gibt es weitaus ernstzunehmendere Stimmen: Program or Be Programmed von Douglas Rushkoff zum Beispiel oder den Film Plug and Pray von Jens Schanze.

  3. Jan Busch

    Ähnlich kritisch mit Social Media setzt sich ein aktuelles Buch auseinander, das die großen Visionen um Demokratisierung und Partizipation im Netz mit den tatsächlich vorhandenen empirischen Daten konfrontiert und zumindest für Deutschland zu bemerkenswert-kritischen Ergebnissen kommt: „Neue Demokratie im Netz? Eine Kritik an den Visionen der Informationsgesellschaft“ (Schrape 2010)

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